Ostuni – die weiße Stadt – auf der Halbinsel Salento gelegen, ist ein malerischer Ort.
Wer hierher kommt, kann sich an der Langsamkeit laben und den munteren Duft der Leichtigkeit genießen.

Ostuni - Stadtspaziergänge

Ostuni – Stadtspaziergänge

Ich gestehe, dass der ursprüngliche Titel dieses Beitrags, in Anlehnung an Marguerite Duras‘ berühmten Roman, „Ostuni, mon amour“ gelautet hat. Dann wollte ich, wenn schon denn schon molto italiano, die wenig überraschende Übersetzung „Ostuni, amore mio“ wählen. Zu plump, wie ich belehrt wurde. Unpassend, weil zu intim, hat meine Frau gemeint – und die muss es wissen, ist sie doch, wie man in Wien so schön sagt, halberte Italienerin und demnach native speakerin: „So etwas kannst du zu mir sagen, aber nicht zu einer Stadt.“ Okay, dann nicht. „Und was hältst du von ‚La città bianca‘?“ – „Ja, das ist gut!“ Gut (aber ebenso wenig neu wie alle vorangegangenen patscherten Titeldiebstähle und -übersetzungen), weil das zauberhafte Städtchen in Apulien tatsächlich diesen Beinamen hat: die weiße Stadt. Womit wir endlich, sozusagen alle gemeinsam, den ersten Gipfel in Form der Überschriftenfindung erfolgreich erklommen haben und ich mich nun – ich kann’s nicht lassen: tutto solo – im engen Gassenwirrwarr der Altstadt mit allen Sinnen schwärmend verlieren kann.

In den engen Gassen von Ostuni

In den engen Gassen von Ostuni

Ostuni also. Malerisch, wie man so schön sagt – und ursprünglich. Apropos: Der sogenannte Salento, die etwa 100 Kilometer lange und 40 Kilometer breite Halbinsel im äußersten Südosten Italiens, die im Wesentlichen dem Absatz des Stiefels entspricht, hat eine einigermaßen andere Geschichte als der Rest des italienischen Festlandes. Seit dem 5. Jahrhundert vor Christus gehörte der Salento nämlich zur Magna Grecia und war sprachlich und kulturell eher von Griechenland bestimmt als von Rom; davon zeugen nicht nur Städtenamen wie zum Beispiel Gallipoli. Auch der Dialekt im Salento unterscheidet sich stark von den benachbarten Sprachfärbungen (was das Italienischlernen, ich sage das aus Erfahrung, nicht gerade einfacher macht …); das Gleiche gilt auch für die Architektur. Die alten städtischen Wohnhäuser hier sind nach griechischer Art gebaut: sie sind weiß gekalkt und haben meist ein Flachdach.

„Flachdach?“, werden Sie fragen, „aber ist das nicht die Gegend, wo es diese alten Häuser mit den lustigen Zipfelmützendächern gibt?“ Richtig, das stimmt – Sie meinen wahrscheinlich die berühmten Trulli, die traditionellen Steinhäuser, die oft versteckt inmitten der weitläufigen Olivenhaine stehen, in denen einst die ländliche Bevölkerung wohnte und die heute, in vielen Fällen stilecht renoviert und behaglich eingerichtet, originelle Zweitwohnsitze oder authentische Feriendomizile darstellen. Diese Trulli stehen im Unterschied zu den vorhin erwähnten griechisch anmutenden Flachdachhäusern aber (mit einigen Ausnahmen) kaum in städtischen Gebieten, sondern, wie gesagt, zumeist in der „campagna“, was so viel bedeutet wie „am Land“ – ehemalige Bauernhäuser also.

Ostuni - Stadtspaziergänge

Ostuni – Stadtspaziergänge

Aber zurück nach Ostuni. Die etwa 30.000 Einwohner zählende Gemeinde liegt in der Provinz Brindisi, etwa acht Kilometer landeinwärts von der Adriaküste entfernt, auf einer Höhe von 220 Metern, wodurch sich, von manch lauschigem Plätzchen, ein grandioser Blick aufs Meer und die vorgelagerten Olivenplantagen bietet. Fernsehen in seiner beglückendsten Form. Hier oben, auf einem der drei Hügel, auf denen die pittoreske Altstadt von Ostuni erbaut ist, bekommt man eine Ahnung davon, was mit „dolce far niente“ gemeint sein muss – und wenn dann noch, in einer der vielen stimmungsvollen Trattorias, sagen wir ein Teller mit frischen Orecchiette und vielleicht ein Glasl Primitivo, der köstlich regionale Wein, dazukommen, dann erreicht man, vermutlich unter einer Marienstatue sitzend, ganz wie von selbst die befreiende Ebene der buddhistischen Überzeugung: „Es gibt keinen Weg zum Glück. Glücklich-sein ist der Weg.“ Viva la diversità!

Die Altstadt von Ostuni, „la terra“ genannt, ist von einer mächtigen Stadtmauer und einem imposanten aragonesischem Turm umgeben; die weißen Kalksteinhäuser, die auf spielerisch verschachtelte Weise, treppauf treppab, ein faszinierendes Labyrinth von schmalen Gassen und kleinen versteckten Plätzen ergeben, laden mit ihrem typisch mediterranen Charme ein, näher erkundet zu werden. Da ein hübscher Laden, dort eine würzig feine Osteria – und über allem, „in fatti“, der muntere Duft der Leichtigkeit: La vita e bella! Die altehrwürdige Kathedrale aus dem 15. Jahrhundert, die Basilika di Santa Maria Assunta, und der monumentale Bischofspalast, der Palazzo Vescovile, thronen indes – dem Himmel so nah – auf dem höchsten Punkt des „centro storico“ und bilden, was die geschichtlich bedeutendsten Sehenswürdigkeiten Ostunis betrifft, gewissermaßen das Gegengewicht zur riesigen Piazza della Libertà, auf der sich nicht nur das in einem ehemaligen Kloster untergebrachte Rathaus, sondern auch die barocke Säule des Heiligen Oronzo, des beliebten Stadtpatrons, befinden.

Ostuni - Strand-Spaziergänge

Ostuni – Strand-Spaziergänge

Hat man sich letztlich schweren Herzens entschlossen, diesen wunderbaren Ort (irgendwann wieder einmal) zu verlassen, wird die Anmut der Umgebung den Trennungsschmerz auf wohltuende Weise lindern. Die wildromantische Küste von Ostuni zum Beispiel, die „costa merlata“, erstreckt sich über eine Länge von 17 Kilometern und umfasst Mittelmeerwälder, Sandstrände und felsige Abschnitte. Wer aber die völlige Unberührtheit der Natur sucht, der wird im atemberaubend schönen Meeresschutzgebiet „torre guaceto“ über die weitgehend unbekannten Gesichter der Adria staunen. Barfuß oder mit dem Fahrrad – eine andere Wahl, dieses großartig weitläufige Stück Land zu erobern, hat man zum Glück nicht. Am besten freilich ist es, einen ganzen Tag hier zu verbringen – die stille Muse der Natur erschließt sich nicht für Menschen, die nur auf einen Sprung und ein paar rasche Fotos hierherkommen. „Tranquillo“, sagen die Leute von da – „bleib ruhig, mach dir keine Sorgen!“ Beherzigt man dieses Motto, so wird man sich an der Langsamkeit hier laben; genussvoll schlendernd, aufs Meer schauend, vielleicht ein bisschen Strandgut sammelnd, mal schweigend und mal plaudernd.