In meiner Generation (50+) haben wohl viele eine Tante Mitzi vorzuweisen.
Ich weiß nicht, wie Eure Tante Mitzi war und was sie für Euch bedeutet hat, aber ich mag jetzt von meiner Tante Mitzi schwärmen. Die Meinige war für mich und meine Entwicklung etwas Besonderes. Sie war eine Inspiration und mein erstes role model. Sie war – und das verstand ich erst sehr viel später – eine der ersten und ehrlich gesagt wenigen emanzipierten und selbstbewussten Frauen, die für mich als „Mädchen vom Lande“ als weibliches Vorbild oder Bezugsperson zur Verfügung standen.

Meine kleine Tante Mitzi-Theorie
Tante Mitzi wurde 1905 geboren. Ihre Kindheit verbrachte sie in einem Dorf am Leithagebirge. Sie
heiratete Onkel Franz und zog in die große Stadt. Ich habe da so meine kleine Theorie, woher die Gruppe der heute selbständigen, selbstbewussten und selbstbestimmten mitteleuropäischen Frauen ihre Inspiration dafür bekommen haben könnten. Eine Idee dazu, wann und von welchen Frauen der Grundstein für diese Art von Frausein gelegt worden sein könnte. Vielleicht waren es Frauen wie meine Tante Mitzi, die im Krieg, als ihre Männer an der Front waren, „ihren Mann“ standen. Frauen, die ohne viel Aufhebens Aufgaben übernahmen, die vorher nur den Männern oblagen. Sie bewirtschafteten Bauernhöfe, führten Betriebe, reparierten, trugen Post aus, organisierten, übernahmen Verantwortung und ergriffen Initiative, sie verhinderten das Schlimmste, halfen beim Erhalt, improvisierten beim Wiederaufbau und waren ganz nebenbei Hausfrau und Mutter. Mit einem ironischen Zwinkern versehen könnte man sagen, dass so der Begriff Multitasking, damals wohl noch „Mehrprozessbetrieb“ genannt, entstanden sein könnte.
Ich kann mir gut vorstellen, dass diese Frauen dadurch ein Selbstbewusstsein erlangten, das ihnen auch nach dem Krieg keiner mehr wegnehmen konnte. Das Wissen, dass es nichts oder nur wenig gibt, was sie nicht können.
Damals entstand möglicherweise die heutige „moderne Frau“. Es dauerte ein bisschen, bis die Dinge ins Rollen kamen und es ist immer noch Luft nach oben. Aber es tut sich was. Ein Danke an alle Tante Mitzi´s dieser Welt.

Tante Mitzi, keine Emanze, aber eine starke Frau

Tante Mitzi in den Roaring Twenties

Tante Mitzi in den Roaring Twenties

Ich mag sie Euch vorstellen, und fange mit ein paar ihrer Sprüche an:
Da wäre ihr: „mia ham no den Kaiser g`sehn…“, das für sie typische: „ist ja nicht der Rede wert…“ oder ihr sehr, sehr ironisches „bist´ heirat´st, ist´s wieder gut“…
In dem Spruch „Buchs obe, am Bodn ist´s süß…“ (will heißen: trink aus, am Boden des Glases wird es süß) habe ich erst viel später eine Metapher für: „halt durch, es wird wieder besser“ erkannt. Auf die Frage, wie es ihr denn ginge, kam aus ihrem Munde kein Jammern, sie pflegte zu sagen: „Dankeschön, soll´s mir nie schlechter gehen“ und lächelte ihr Tante-Mitzi-Lächeln. Sie war gut im Nehmen, aber noch besser im „etwas draus machen“. Eine Kämpfernatur mit dem Motto „halb voll, nicht halb leer“. Schlecht über andere Menschen zu sprechen war nicht ihres und Toleranz hab ich durch sie kennengelernt.

Lieblingsgeschichten von und mit Tante Mitzi
Hier ein paar meiner Lieblingsgeschichten, die ich mir als Kind immer wieder von ihr erzählen ließ. Ich habe sie wahrscheinlich an die 100 Mal gehört. Wir beide hatten folgendes Ritual:
Tante Mitzi erzählst du mir die Geschichte von XXX. Biiiiiitttteeeeeeeeeeeee!!!
Tante Mitzi`s obligatorische Antwort: „Aber geh, die kennst du ja schon…“ Nach einigem Bitten erzählte sie dann wirklich geduldig immer wieder meine Lieblingsgeschichten.

Opa, der Heiler
Tante Mitzi war als junge Frau sehr krank. Sie wurde in der Bauchgegend operiert und die Wunde heilte nicht, sie war lange Zeit entzunden und unter Eiter. Antibiotika waren damals noch nicht erfunden. Es sah nicht gut aus für Tante Mitzi. Dann hatte ihr Vater eine Idee. Er verordnete ihr in seiner Verzweiflung im Sommer „bauchfreies in der Sonne liegen“, um die Wunde auszutrocknen. Zu dem Zweck baute ihr einen „Verschlag“, hinter dem sie ungesehen und mit nacktem Bauch (damals ein gewagtes Unterfangen) in der Sonne lag. Und es half. Tante Mitzi wurde gesund. Leider konnte sie durch die Operation keine Kinder bekommen. Aber sie hat überlebt.
Ob es tatsächlich die Sonne war oder nur der Glaube, dass die Sonnenstrahlen sie heilen würden, das sei dahingestellt. Ich mag diese Geschichte.

Die Schnellscheißerhose
Tante Mitzi´s Generation hatte sehr eigenartige Unterwäsche, genannt Leibwäsche. Das war ein aus Leinen gefertigtes Teil, Hose und Oberteil in einem, der Vorfahr des Overalls, wenn man so will. Allerdings mit einem Schlitz zwischen den Beinen, um das „Geschäft“ zu ermöglichen. Darüber trugen die Mädchen ein Kleid.
Auf meinen skeptischen Einwand: „Aber Tante Mitzi, war das nicht kalt im Winter?“ kam die lässige Antwort, dass es damals nun mal so war und alle Kinder so gekleidet waren. Um mich so richtig davon zu überzeugen, dass das alles nicht der Rede wert war, gab es als Epilog jenen Handlungsstrang, in dem es darum ging, dass sie mit dieser Schnellscheißerhose, einem Winterkleid, Strümpfen, gehalten von einem Einziehgummi, Haube und Walkfäustlingen und mit Zeitungspapier ausgelegten Stiefeln sogar rodeln am Kirchenberg war.
Die peinlichen Situationen, die sich beim Rodeln in diesem Outfit möglicherweise ergeben haben könnten, beflügelten meine kindliche Fantasie ungemein.

Die Gobelintasche – Meine Lieblingsgeschichte

Mitzi Post

Tante Mitzi, die Postlerin

Tante Mitzi war nach dem Krieg Briefträgerin im zerbombten Wien. Sie trug dabei eine fesche Uniform und mochte ihre Arbeit.
An einem Arbeitstag ging sie an einer Auslage vorbei, in der sie im Augenwinkel eine wunderschöne, sehr teure Gobelintasche liegen sah. Sie hatte an dem Tag viel Post auszutragen, also ging sie rasch weiter.
Ihr weiblicher Sinn für Schönheit ließ ihr jedoch keine Ruhe. Sie machte eine spontane Kehrtwendung, um das Objekt ihrer Begierde nochmals zu bewundern.
In dem Moment landete ein großer, schwerer Dachziegelstein an genau der Stelle, wo sie noch vor einer Sekunde stand. Dieser Stein hätte sie erschlagen.
Tante Mitzi hat daraufhin ein Jahr lang gespart und kaufte sich ihre lebensrettende Gobelintasche.

Tante Mitzi gab mir meinen Namen.
Sie war an meiner Namensgebung wesentlich beteiligt und bestand auf dem A am Ende meines Namens statt einem E.
Danke, Tante Mitzi, ich mag meinen Namen sehr und kann mir keinen passenderen vorstellen.

Tante Mitzi im weißen Haus
Irgendwann, ich glaube es war Ender der 60er, Anfang der 70er Jahre, als Tante Mitzi schon in Pension war, beschloss sie, nach Amerika zu fliegen. Sie machte das im Alleingang ohne Mann.
Eine Reise nach Amerika!!!! Das war damals in etwa für mich so abenteuerlich, wie es heute ein Flug auf den Mond wäre. Und dann kam ihre Ansichtskarte. Das weiße Haus. Der Hauch der großen Welt durchflutete unser Heim. Ich war hin und weg. Diese Ansichtskarte hatte jahrelang einen Ehrenplatz auf der Bilderwand in meinem Kinderzimmer.
Tante´s Reise verkörperte für mich als kleines Mädchen die pure Freiheit.

Tante Mitzi und ich in der großen Stadt

Tante Mitzi und ich in der großen Stadt

Meine Besuche bei Tante Mitzi
Als Kind durfte ich in den Sommerferien für eine Woche nach Wien kommen. Zu der Zeit hatte man mir meine frühkindliche Angewohnheit, so wie daheim am Land, jeden mir entgegenkommenden Menschen in Wien zu grüßen, Gott sei Dank schon abgewöhnt. Ich habe heute noch Bilder im Kopf, die sich damals in meiner inneren Mattscheibe einbrannten: die Gloriette, das Riesenrad von der Schnellbahnstation Praterstern aus gesehen, die aufregenden Straßenbahnfahrten. Damals gab´s noch den Schaffner und ich durfte „zwicken“.
Wir gingen auch manchesmal in ein öffentliches Schwimmbad. Tante Mitzi hatte eigene Erziehungsmethoden. Ihre Art, mich davon abzuhalten, so wie viele andere Kinder ins Becken zu pinkeln, war, mir mit ernster Miene zu erklären, dass sich mein Pipi blau fäben würde und mein Verhalten dann für jedermann sichtbar würde. Dass es das Christkind und den Osterhasen nicht gibt, habe ich jedenfalls früher gecheckt als die Tatsache, dass das ein G´schichtl von ihr war.
Ich durfte am Nachtkasterl beim Schlafen ein Glas Himbeersaft am Nachtkastl stehen haben und ich bekam mein erstes Taschengeld von Tante Mitzi für diese Ferienwoche. Ich durfte darüber frei verfügen. Meist ging das Taschengeld für Geschenke drauf, bis Tante Mitzi mir erklärte, ich könne mir davon ja auch selber etwas schenken. Auf diese Aha-Erkenntnis hinauf habe ich mir einen roten Knautschlackhaarreifen gekauft. Mein damals größter Stolz für lange Zeit.

Die rote Brotschneidemaschine
Irgendwann stand in Tante Mitzi ´s Küche eine rote – damals wie jetzt für mich schöne und stylische – Brotschneidemaschine.
Und ebendiese Brotschneidemaschine steht heute in meiner kleinen Küche. Sie ist das Einzige, was ich von Tante Mitzi´s Schätzen geerbt habe. Eher eigentlich deswegen, weil niemand sonst sie haben wollte. Jedesmal, wenn ich Brot mit dieser Brotschneidemaschine schneide, interagiere ich im Geist mit meinem role model.
Das schöne ist, dass mein Schatz das auch schon macht.
Ich mag das.