Früher dachte ich immer, dass ich erstens ganz gut schreiben könne, zweitens recht passable Fotos mache und drittens einigermaßen gewandt mit kleinen Kindern umzugehen imstande bin. Um es kurz zu machen und sozusagen alles gleich vorwegzunehmen: Ich habe drei – mittlerweile erwachsene – Töchter, die folgende Berufe ausüben: Journalistin, Fotografin und Kindergärtnerin. Und seit jede von ihnen in ihrem Job nicht nur wirklich gut, sondern meiner völlig objektiven Meinung nach einsame Spitze ist, bin ich in meinen eingangs erwähnten von mir bloß vermuteten Talenten allerhöchstens nur noch Mittelklasse. Lisa, die Älteste, schreibt besser als ich, Anna, die Zweitgeborene, fotografiert besser als ich, und Sassi, die Jüngste, spielt besser als ich – was mich ohne Wenn und Aber an den Start zurückbringt: Das hat man also davon, wenn man Kinder hat.

Meine Töchter und ich

Meine Töchter und ich

Dabei hat alles so harmlos angefangen. Irgendwann vor vielen Jahren begann Lisa ihre ersten Buchstaben zu malen. P-A-P-A. Meine Güte, ist das großartig, wie schön du das schon schreiben kannst! Jetzt, mehr als zwei Jahrzehnte später, weiß ich, dass dies gewissermaßen der Beginn des Überholmanövers war, mit P-A-P-A wurde quasi der Blinker betätigt, um nach links auszuscheren. Bereits in der vierten Klasse Volksschule, bei einem eifrigen Geschichte-schreiben-Wettbewerb, ließ Lisa mit ihrer spannenden Story „Die Wildpferde“ alle anderen Kinder ziemlich kindisch aussehen und stach blondbezopft sommersprossig stupsnäsig aber so was von hervor, dass es buchstäblich zum Wiehern war. Erster Platz, was sonst.

Etwa zu dieser Zeit muss es wohl auch gewesen sein, dass Anna, damals sieben, ihre erste Kamera bekam. Ein Kindermodell, klar: Knallrot, komplett aus Plastik, analog und mit einem Umhängeriemen; altersentsprechend halt. Schau, die gehört nur dir, Anna, damit kannst du jetzt deine ganz eigenen Fotos machen. Gehört, getan. Ich erinnere mich genau: Beim Abholen des ersten fertig entwickelten Films – wie gesagt: wir reden hier noch von der vordigitalen Fotografie – öffnete ich, nachdem ich meine eigenen Fotos nach erster rascher Betrachtung überaus zufrieden einsteckte, das Kuvert mit Annas Fotos. Das typisch väterlich-joviale, im Grunde nachsichtige Schmunzeln umspielte mein Gesicht – jenes, das man bei dem Gedanken Na-schauen-wir-einmal-was-die-Kleine-da-gemacht-hat ganz automatisch bekommt. Ich möchte nicht lange herumreden, Fakt ist: Ich habe die Kuverts verwechselt. Die vergleichsweise mäßigen Bilder, die ich jetzt vor mir hatte, waren die von mir fotografierten, und jene, die ich zu Beginn nur so überflog, weil ich ohnehin wusste, dass sie gut waren, und die ich zufrieden an mich nahm, waren Annas, also die der Siebenjährigen.

Sie werden es schon ahnen, wie es weitergeht – und Sie haben recht. Ja, richtig: Es sind drei Töchter, und diese drei planten, so vermute ich, ihr Überholmanöver nicht nur gemeinsam, sie führten es auch im Kollektiv aus. Während die eine nämlich ihre Bleistifte immer mehr spitzte und die andere ihre Linsen zusehends schärfte, wuchs, klein und niedlich, die dritte heran und legte sozusagen spielerisch ihre beruflichen Grundsteine. Alles zeitgleich wohlgemerkt. Nie zuvor – und was ich jetzt sage, ist keine Übertreibung; warum sollte es auch eine sein? – nie zuvor gab es eine fürsorglichere Puppenmama als die vier-, fünfjährige Sassi. Wir sind uns einig, wenn wir sagen, klar spielen alle Mädchen gern mit ihrer Lieblingspuppe, und klar schiebt jedes Mädchen stolz ihren Puppenwagen. Aber glauben Sie mir: Sassi hat das nicht gespielt. Sie war es. Tag und Nacht. Vierundzwanzig sieben. Dreihundertfünfundsechzig. Unnötig zu erwähnen, dass die Aussage Komm-leg-jetzt-bitte-die-Puppe-weg eine glatte Themenverfehlung war. Welche Puppe, Papa?

Lassen Sie mich keinen kleinen, sondern einen richtig großen Zeitsprung machen und im Heute landen. Da sind wir, nach wie vor, nach all den Jahren, in denen die Entwicklung viele bunte Mosaiksteine gelegt hat – immer noch wir. Unzählige Erinnerungsbilder verbinden uns, sie formen die Gegenwart und sie geben der Zukunft Flügel. Wir sind alle erwachsen geworden und doch auch Kinder geblieben. Über viele Begebenheiten werden wir vermutlich unser ganzes Leben lachen, über manch eine Traurigkeit hat sich der gnädige Nebelschleier des Vergessens gelegt. Ich habe drei wunderbare Töchter, und das, was sie mir verdanken, verdanke ich ihnen. Sie sind 28, 25 und fast 22 Jahre alt, und ich bin soeben dabei, über sie zu schreiben. Es tut mir gut, weil mir alles gut tut, was mit ihnen zu tun hat.